Das Positive ist allgegenwärtig

In seinem Lied der 18 ITIES (Tugenden) beschreibt Swami Sivananda 18 verschiedene Eigenschaften, welche ein Mensch entwickeln und meistern sollte, um ein wahres menschliches Wesen zu sein. Für ihn bedeutete dies, in der materiellen Welt, ein spirituell gesegnetes Leben zu führen. Gelingt es uns, diese positiven Eigenschaften zu verinnerlichen, obwohl wir in der materialistischen Welt leben, und schaffen wir es, diesen positiven Qualitäten Ausdruck zu verleihen um der Aufrichtigkeit in uns und unserem Leben Kraft zu geben, dann ist das der Anfang von einem spirituell gesegneten Leben. Als Swami Sivananda seine Auffassung von Yoga formulierte und unserem Meister Sri Swami Satyananda den Auftrag erteilte, Yoga zu verbreiten, gab er nur drei Instruktionen: Yoga um die Qualitäten von Kopf, Herz und Händen – Intelligenz, Emotionen und Handlungen – zu kultivieren.

Sri Swami Satyananda entwickelte das Yoga Chakra, das Rad des Yoga. Wenn wir ein Rad betrachten, befindet sich im Zentrum die Nabe, aus der die Speichen hervorgehen, die an ihrem äusseren Ende von der Felge, dem Rahmen, zusammengehalten werden. Die Nabe im Zentrum, aus der alle Speichen hervorgehen, versinnbildlicht den Zustand unseres Bewusst–seins, den reinen, transzendentalen Zustand unseres Seins und Lebens. Aus diesem transzendentalen Zustand treten die Speichen hervor.

Sri Krishna definiert diese sechs Speichen folgendermassen (15:7):
Manah shashthaaneendriyaani prakritisthaani karshati.

Die sechs Speichen sind die fünf Sinne und der Geist. Die fünf Sinne und der Geist sind mit dieser äusseren Felge verbunden, welche unser Leben repräsentiert. In jedem Moment unseres Lebens benutzen wir unsere Sinne und unseren Geist. Die Sinne und der Geist ermöglichen uns Erfahrungen zu machen und Informationen, Erkenntnisse, Wissen und Fähigkeiten zu sammeln, die wir zum überleben benötigen. Wir sind das Rad. Wir gehen aus der Quelle der Schöpfung hervor, und wir nutzen unsere fünf Sinne und unseren Geist um unser Leben zu meistern. Entscheide selbst, ob du den Ursprung der Schöpfung, Big Bang, Satyam-Shivam-Sundaram oder Gott nennst. Yoga bezeichnet ihn als “Ishwara”, die immerwährende Realität.

Das Leben ist der veränderliche Teil des Spektrums. Wenn das Leben ein Chakra – ein Rad – ist, dann ist unser Bemühen um Transformation und Entwicklung auch Teil dieses Rads. Dies ist die materielle Betrachtungsebene: das Bewusstsein, die Sinne, der Geist und die Erfahrung unseres Lebens. Das ist das Rad des Lebens, Jivana Chakra. Aus spiritueller Sicht betrachtet, wird das Jivana Chakra zum Yoga Chakra, denn das Rad des Yoga ist nur eine Spiegelung des Rad des Lebens, sie sind nicht voneinander getrennt. Das Rad des Yoga und das Rad des Lebens sind ein und dasselbe. Wenn wir über das Rad des Yoga sprechen, bringen wir dies mit verschiedenen Vorstellungen und Übungen in Verbindung. Sprechen wir vom Rad des Lebens, dann stehen die Sinne, der Geist und die Erfahrungen, die wir im Leben machen, im Vordergrund. Beide Räder gehen ineinander auf.

Der Weg der Speichen zurück zur Nabe – das Rad des Yoga – repräsentiert die Rückkehr unseres nach außen gerichteten Lebensausdrucks zurück zum Ursprung. Dies entspricht auch der Theorie des Kundalini Yoga. Das Absteigen der Kundalini von höheren Ebenen zu den niederen Ebenen in Muladhara hat uns in diese Existenz gebracht. Das Aufsteigen der Kundalini entlang des gleichen Wegs schenkt uns die Erfahrung einer höheren Realität. Kundalini ermöglicht uns beides: Die Erfahrung der Welt und die der höheren Realität. Ähnlich verhält es sich mit dem Rad des Yoga; richten wir uns nach außen, verbinden wir uns mit der Welt. Wenn wir fokussiert und zentriert sind, kehren wir zum Ursprung zurück.

Das Rad des Yoga versinnbildlicht die verschiedenen Yoga Wege, über die wir zurück zum Ursprung gelangen. Dies ist der Fokus des zweiten Kapitels von Yoga – das Vertiefen der eigenen Erfahrung. Doch bevor wir Yoga als Methode nutzen, um zum Ursprung zurückzukehren, lass uns zuerst genau verstehen, wie wir unsere Achtsamkeit und Wahrnehmung in der äußeren Dimension des Lebens erweitern müssen, bevor wir die Reise in die innere Dimension antreten. Dies ist ein zentraler Aspekt von Yoga: Zuerst wird die Achtsamkeit in der äußeren Dimension, in der Welt, erweitert. Erst danach beginnt man die Achtsamkeit nach innen zu lenken. Wenn wir uns in der äußeren Welt entfalten, verwenden wir die gleichen sechs Yoga Wege, und wir nutzen und lenken die gleichen sechs Sinne des Lebens: die fünf Sinnesorgane und den Geist.

Während wir uns durch Hatha Yoga, Raja Yoga, Kriya Yoga, Karma Yoga, Bhakti Yoga und Jnana Yoga Schritt für Schritt entwickeln, verändert sich unsere Lebensweise. Wir werden uns der Art, wie wir leben immer mehr bewusst und erkennen wie wir unseren Lebensstil im Gleichgewicht halten können, damit mehr Zeit für Entspannung, Achtsamkeit und das Entwickeln einer spirituellen Identität entstehen kann. Wenn wir also Hatha Yoga, Karma Yoga, Raja Yoga und Jnana Yoga üben, abgesehen von den Veränderungen auf körperlicher und geistiger Ebene – d.h. mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit – verändern sich auch unser inneres Wesen und unsere Verhaltensweisen.

Diese Veränderungen in deinem Wesen und deiner Verhaltensweise, welche die äußere Felge darstellt, bringen gute oder auch schlechte Eigenschaften hervor. Du machst gute oder schlechte Erfahrungen aufgrund deiner Persönlichkeit. So wie du die Welt siehst, die Art wie du wahrnimmst und verstehst, wie du Dinge akzeptierst, wie du lernst, wie du erkennst, was richtig oder falsch ist – all dies geschieht auf der Ebene des Lebens und nicht auf der Ebene von Bewusstsein, denn Bewusstsein ist frei. Es ist der nach aussen gerichtete, durch die äußere Felge symbolisierte Geist, welcher sich zum Positiven wandeln muss.

Um die Erfahrungen und Qualitäten des Lebens zu verbessern, brauchen wir Yamas und Niyamas und nicht Hatha Yoga oder Raja Yoga. Die im Yoga definierten Yamas und Niyamas sind nicht moralische oder ethische Prinzipien. Yoga sieht Moral und Ethik nicht als etwas vom Leben und der menschlichen Natur getrenntes. Wenn du ein ausgeglichener, harmonischer und achtsamer Mensch bist, dann sind dein Verhalten, deine Gedanken und deine Handlungen angemessen. Du brauchst nicht über Moral und Ethik nachzudenken, wenn du dein Leben im Einklang führst. Erst wenn du dich unangemessen verhältst, werden Ethik und Moral zum Thema. Im Yoga kämpfen wir nicht um Ethik und Moral. Die innere Klärung und Bewusstwerdung, das innere Wachstum, welches dein Wesen, deine Persönlichkeit und deine Psyche erfährt, bringen die positiven Qualitäten automatisch zum Vorschein.

Der Ausdruck dieser positiven Eigenschaften wird als Yama und Niyama bezeichnet. Wenn es dir gelingt Hass zu überwinden und die Person zu lieben, die du ablehnst, ist dies ein Zustand, eine Bewusstheit, welche du entwickelt hast. Das ist mit Yama und Niyama gemeint. Yama und Niyama bedeutet, dass die von Tamas getrübte Natur des Geistes sich zum Positiven, zum Sattwischen, wandelt. Nicht Asanas werden die Qualität unserer Lebensweise steigern. Genauso wenig werden Pranayama oder Meditation deine Handlungen und Interaktionen verbessern. Es ist das Bemühen, sich mit dem Positiven im Leben zu verbinden, welche die Lebensqualität erhöht.

– Satsang mit Swami Niranjanananda Saraswati, Yoga Symposium 2018 (Munger, Indien)

Das Original findest du im Yoga Magazin vom Januar 2019 auf der Website der Bihar School of Yoga.

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