Ist es möglich, ein Politiker oder ein Vertreter der Öffentlichkeit zu sein und gleichzeitig ein sattwisches Leben zu führen? Welchen Rat würden sie einer Person geben, die in die Politik einsteigt?
Swami Niranjanananda: Politiker sind auch einfach nur Menschen, welche die Vorzüge des Yoga Übens erfahren wollen und dürfen. Politik ist ein Beruf, der weder gut noch schlecht ist. Heutzutage ist die Politik leider negativ behaftet. Die positiven Aspekte der Politik müssen hervorgehoben werden, indem Politiker rücksichtsvoller, bewusster und aktiver werden und an die Entwicklung und Verbesserung der menschlichen Kultur und Gesellschaft denken. Politik als Beruf wird vom Verstand geleitet und bedingt deshalb Klarheit des Denkens, der Absicht und der Richtung des eigenen Handelns. Dazu helfen Meditation, Reflexion, das Üben der SWAN Methode, Asana, Pranayama und Yoga Nidra. Werde deshalb ein übender Yogi während deiner Tätigkeit als Politiker und du wirst feststellen, dass diese Techniken dir dabei helfen, ein besserer Mensch und Politiker zu werden.
Wie bleibt man in einem Zustand der Ausgeglichenheit, ohne Raga (Zuneigung) und Dwesha (Abneigung) und schafft es dennoch, alle Arbeiten aussergewöhnlich gut auszuführen? Wenn man frei von Leidenschaft ist, wie ist es dann möglich, hervorragende Leistungen zu erbringen?Swami Niranjanananda: Das eine ist erkennen und wissen, das andere ist entsprechend zu handeln. Du erkennst etwas, entscheidest dich aber die entsprechende Handlung auszulassen. Oder du weißt um etwas und entscheidest dich angemessen zu handeln. Was ist besser? Besser ist es, wenn du um etwas weisst und dich zur entsprechenden Handlung entschliesst. Wissen ist ein intellektueller Vorgang und Handeln ist die Manifestation dieses Wissens. Manche Menschen fragen, warum man handeln sollte, wo doch alles nicht real sei? Warum sollte man überhaupt Teil eines Karmas sein? Das ist eine verkehrte Haltung. Dieselben Menschen essen weiterhin, dieses Karma geben sie nicht auf. Sie hören auf zu kochen, mit der Begründung, dass Kochen nicht ihr Karma sei. Gleichzeitig akzeptieren sie, von jemandem abhängig zu sein, der für sie kocht. Menschen, die wissen und entsprechend handeln, folgen ihrem Dharma und Kartavya, und diese Haltung ist Teil der Yogischen und der Sanatana Kultur und Tradition. Es gibt keine Verneinung, Ablehnung, Entsagung, kein Zurückweisen und kein Abstossen, stattdessen gibt es nur Akzeptanz von Dharma und Kartavya. Was ich tun muss, tue ich. Ich esse, ich gehe auf die Toilette, ich spreche, ich mach mit allem weiter. Ich tue alles, worauf ich Lust habe, gleichzeitig entscheide ich mich aber gegen bestimmte Pflichten. Das ist falsch. Du blockierst damit dein eigenes Dharma und Kartavya. Erkennen und Wissen ist eine Sache und die Verwirklichung von Dharma und Kartavya eine andere. Wenn beide zusammenkommen, wird man zum Yogi. Wenn sie auseinanderdriften, ist man ein Bhogi.
Gibt es etwas, das als spirituelle Sünde angesehen wird?
Swami Niranjanananda: Im Yoga und dem indischen Glaubenssystem existiert Sünde nicht. Es gibt kein Wort für Sünde, und deshalb sind die Inder auch nicht mit dem Konzept der Sünde vertraut. Paap bedeutet nicht Sünde, sondern untugendhafte Tat. Punya ist Tugend und Paap ist Untugend. Gemäss Swami Sivananda sind beide Ausdruck deiner Natur. Wenn du tamasisch bist, dann werden deine Ausdrucksformen negativ und destruktiv sein, und das kann als Sünde betrachtet werden. Wenn du sattwisch bist, werden dein Verhalten, deine Handlungen und deine Leistungen hilfreich, rücksichtsvoll, gütig, mitfühlend und aufbauend sein, und das kann als tugendhaft angesehen werden. Dein Leben ist Ausdruck deines Geistes. Ist dein Geist negativ, dann erlebst du in allem, was du tust, Negativität. Wenn du denkst, dass du eine Sünde begehst, dann ist es eine Sünde und wenn du deswegen das Gefühl von Schuld mit dir herumträgst, dann wirst du dich auch schuldig fühlen. Auch aufgrund von Erziehung, Denkweise und kulturellen, sozialen und religiösen Hintergründen formen sich ganz unterschiedliche Gedankenmuster und Glaubenssysteme. Als Individuen sollten wir möglichst einfach und frei leben und das Positive in unserem Geist kultivieren, dann gibt es keine Sünde.
Ist Erleuchtung möglich?
Swami Niranjanananda: Es zählen die Bemühungen des Einzelnen und nicht die Unterweisungen des Lehrers, erinnere dich immer daran. Vidya ist Vidya, Wissen ist Wissen. Wie du es verstehst und anwendest, hängt von deiner mentalen Beschaffenheit ab, und diesen Aspekt musst du betrachten. Bezüglich Erleuchtung fragte einmal jemand Paramahamsaji: «Ist Selbsterkenntnis möglich?» Er sagte: «Nein.» Der Journalist fragte: «Wieso? Alle sagen, dass Selbsterkenntnis die Bestimmung der Menschheit sei. Sie hingegen sagen, dass Selbsterkenntnis nicht möglich ist. Bedeutet dies, dass all die Religionen, Schriften und Heiligen falsch liegen?» Paramahamsaji antwortete: «Hören Sie zu, Selbsterkenntnis ist eine transzendentale Erfahrung. Der Geist ist nicht transzendentaler Natur. Wie soll ein nicht-transzendentaler Geist einen transzendentalen Zustand erfahren? Das ist nicht möglich.» Deswegen ist Selbsterkenntnis für jemanden mit einem nicht-transzendentalen Geist unmöglich. Es gibt jedoch die Möglichkeit, den Geist vorzubereiten, indem wir seine mentalen Fähigkeiten und seine Reinheit steigern und die Erfahrungskapazität ausdehnen. Wenn du deinen Geist auf diese Weise förderst, wirst du von alleine Zugang zur transzendentalen Realität erhalten. Wenn du dich hingegen mit dem Gedanken: «Ich will Selbsterkenntnis erlangen.» zur Meditation hinsetzt, wird das nie geschehen.
Was bedeutet «alles ist göttlich»?
Swami Niranjanananda: Es heißt, dass alles im Leben göttlich sei. Das hängt von der Färbung der Brillengläser ab, durch die du die Welt betrachtest. Wenn du eine Brille mit roten Gläsern aufsetzt, dann erscheint alles in Rot. Wenn du hingegen schwarzgefärbte Brillengläser trägst, dann erscheint alles schwarz. Genauso ist alles göttlich, da alles aus Sternenstaub entstanden ist – der Körper, die Planeten, auch das Auto und das Fahrrad. Das Material für das Auto ist derselbe Sternenstaub, aus dem auch wir entstanden sind und deshalb ist das Auto kein Modell aus dem Jahr 1920, sondern ein Milliarden Jahre altes Auto, weil es aus dem gleichen Sternenstaub besteht. Der Vedanta und alle spirituellen Traditionen sagen, dass alles göttlich ist. Es ist eine kulturübergreifende Aussage, die du im Islam, Christentum, in chinesischen, indischen, afrikanischen, keltischen und druidischen Traditionen findest. In der Ishavasya-Upanischad (Mantra 1) heißt es:
Ishaavaasyamidam sarvam yatkincha jagatyaam jagat;
Tena tyaktena bhunjeethaa maa gridhah kasyavid dhanam.
“Alles, was in diesem sich ständig verändernden Universum existiert, ist der Wohnsitz des Herrn (in welchem der Herr wohnt). Genieße, was auch immer der Herr dir gibt. Begehre nicht, denn wem gehört der Reichtum tatsächlich?”
Führe deshalb dein Leben in Würde. Wenn du das Haus des Premierministers oder Präsidenten besuchtest, dann würdest du dich respektvoll verhalten und alles Unanständige und Unrechtmäßige unterlassen. Warum lebst du nicht gleichermaßen in Würde auf dieser Erde und unterlässt alles Unanständige und Unrechte? Denn dies hier ist das Haus Gottes. Wenn du in den Ashram kommst, gilt es einer Disziplin zu folgen und genauso solltest du einer Disziplin folgen, wenn du im Haus Gottes lebst. Diese Welt ist gemäß der Aussage der Ishavasya-Upanishad das Haus Gottes.
Was ist die größte Herausforderung im Leben?
Swami Niranjanananda: Die größte Herausforderung im Leben eines jeden Menschen ist Negativität. Wenn du Negativität bewältigen kannst, dann ist der Weg zum spirituellen Leben offen. Wenn du deine Negativität nicht in den Griff bekommst, welchen Sinn hat dann das Leben? Der Sinn des Lebens ist das Positive zu erfahren. Das ist die Anstrengung, die du in jedem Augenblick aufbringen musst. Sich die Mühe zu machen, Positivität in jedem Moment zu leben, das ist Yoga von Augenblick zu Augenblick. Negativität muss überwunden werden, der Rest ist nur Ausdruck des Geistes. Ahara, Nidra, Bhaya und Maithuna sind die vier grundlegenden Instinkte. Ahara ist physisches und psychologisches Verlangen. Essen, Glück, Freude, alles, was dich glücklich und gesund hält und nach was du dich sehnst, ist Ahara. Nidra, Schlaf und Abgrenzung, ist der zweite Instinkt. Bhaya, Angst vor dem Unbekannten, ist der dritte und Maithuna, Sexualität und Fortpflanzung, ist der vierte Instinkt. Alle vier Instinkte müssen bewältigt werden, nicht nur Sexualität. Wenn Menschen einen hervorheben und die anderen verneinen, dann deutet das darauf hin, dass sie die Realität des Lebens, die von diesen vier Instinkten bestimmt wird, nicht erkennen. Diese vier müssen unter Kontrolle und ins Gleichgewicht gebracht werden. Versteh sie nicht als Hindernis, versteh sie als Sadhana. Genauso wie du an bestimmten Tagen als Sadhana fastest oder Angst überwindest als Teil deiner Entschlossenheit stark zu sein, in der gleichen Weise müssen Schlaf, Sexualität, Angst vor dem Unbekannten und Verlangen bewältigt werden. Du musst die Kontrolle über die Instinkte erlangen und sie lenken lernen. Nichts wird als Hindernis verstanden, denn dein Sadhana bringt die geeigneten und richtigen Fähigkeiten hervor, um die Instinkte am effektivsten, effizientesten und auf die beste Weise zu steuern. Daher ist die größte Herausforderung in der spirituellen Entwicklung die Negativität.
Ich möchte wissen, warum ich hier in diesem Universum bin.
Swami Niranjanananda: Diese Frage gibt es schon seit Ewigkeiten und jeder hat versucht, darauf eine Antwort zu geben oder eine befriedigende Antwort für sich selbst zu finden. Wenn es eine einfache Antwort darauf gäbe, dann würde diese eine Frage und Antwort für alle Zeiten genügen. Es scheint, dass die Frage «Wieso sind wir hier?» keine einfache ist. Die Menschen haben versucht, sie anhand von Karma, Schicksal, Gottes Willen oder Gottes Lila, dem göttlichen Spiel, zu beantworten. Was können wir tun, solange wir hier sind und welchen Sinn können wir unserem Leben geben? Die erleuchteten Menschen der Vergangenheit sagten, dass der Zweck, den wir unserem Leben geben können, darin besteht, Exzellenz zu erlangen, in allem was wir tun, ohne die Erwartung zu haben irgendwo ein Meister sein zu müssen. Sich in allem größte Mühe geben, ohne die Notwendigkeit ein Meister zu werden, das ist Exzellenz. Das ist das Ziel meines Lebens, in jedem Moment das Beste zu geben, ohne zu erwarten, ein Meister zu sein. Es bedeutet, dass ich in allem, was ich tue – ob ich spreche, laufe, fahre oder fliege – Exzellenz entwickle. Das ist mein Fokus und nicht Gott. Wenn mich heute jemand fragt: «Was ist dein Lebensfokus?», sage ich «Exzellenz» und nicht Gott oder spirituelle Erleuchtung. Ich bin mir sicher, dass ich, wenn ich in allem mein Bestmögliches gebe, schnell fortschreiten werde, denn das ist der Lernprozess – mich selbst zu beherrschen und meine schönsten Eigenschaften zum Ausdruck zu bringen. Ich glaube, dass ich deshalb hier bin. Wenn du einem anderen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern kannst, hast du den Zweck deines Lebens erfüllt.
— 19. Januar 2020, Satsang für Yogic Studies Teilnehmer (Ganga Darshan, Munger)
Das Original findest du im Yoga Magazin vom Juni 2020 auf der Website der Bihar School of Yoga.