Die Koshas erfahren

Asanas zielen nicht darauf ab, den Körper zu trainieren. Sie sind dazu da, im Körper einen Zustand, Sthiti, herzustellen, der für eine längere Zeit aufrechterhalten werden kann. Das heißt, egal welches Asana du übst, auch wenn es ein dynamisches ist, solltest du immer auf diese beiden Aspekte achten: Sthiram, Stabilität und Sukham, Wohlbefinden. Dies gilt für jedes Asana. Bemühe dich, Stille und Wohlbefinden im Asana zu erfahren.

Darüber hinaus sind Asanas nicht nur einfache Körperübungen. Sie sind Hilfsmittel, die uns Zugang zu weiteren Dimensionen des menschlichen Wesens und der Persönlichkeit ermöglichen. Abgesehen vom Körper, schliessen die anderen Dimensionen Prana, Geist, Bewusstsein und Seele mit ein. Sie sind als Koshas bekannt: Annamaya Kosha, Pranamaya Kosha, Manomaya Kosha, Vijnanamaya Kosha und Anandamaya Kosha. Sri Swamiji lehrte uns, dass Asanas nicht bloß dazu da sind den Körper wahrzunehmen, sondern um die Erfahrung schrittweise von Annamaya, zu Pranamaya, Manomaya, Vijnanamaya und bis hin zu Anandamaya auszudehnen. Er definierte einen Prozess, eine Sequenz, für diese stufenweise Entwicklung.

Wenn du das Asana ausführst, konzentriere dich zuerst auf den physischen Körper: auf die Bewegung und Haltung, sowie auf die Muskeln und Gelenke, welche arbeiten, Kraft halten oder gedehnt werden, usw. Richte deine ganze Achtsamkeit auf die körperliche Wahrnehmung: wie du dich bewegst, wo Spannung oder Enge entsteht, wie weit du dich beugen kannst, wo die Steifheit, der Schmerz und die Mühe sitzen. Entdecke all diese Aspekte von Annamaya Kosha.

Sobald du im Asana die Wahrnehmung von Annamaya Kosha entwickelt hast, gehe zu Pranamaya Kosha über, indem du den Atem mit der Körperhaltung verbindest. Löse die körperliche Wahrnehmung auf, lasse sie los und verbinde dich mit dem Fliessen der Atmung. Wenn sich der Atem bewegt, nimmt der Körper die Haltung an. Die Atmung führt den Körper in die Haltung, nicht dein Bemühen und auch nicht deine Achtsamkeit. Der Fokus liegt nicht mehr auf dem Körper, während du das Asana ausführst, sondern auf der Atmung. Lasse dich durch die Atmung in den Asana Zustand führen.

Der dritte Schritt ist die Visualisierung. Du musst dir die perfekte Haltung mental vorstellen. Es spiel keine Rolle, wenn du dich vorbeugst und nur zehn Zentimeter weit kommst. Auch wenn du noch einen Meter vom Boden entfernt bist, macht das nichts, aber stelle dir vor deinem inneren Auge die perfekte Haltung vor. Je klarer deine Vorstellung der korrekten Haltung, desto mehr wird sich der Körper angleichen und anpassen, um sich in diese korrekte Haltung zu bewegen.

Als Erstes kommt die Wahrnehmung des Körpers: Annamaya Kosha; als Zweites die Wahrnehmung des Atems: Pranamaya Kosha; als Drittes das Visualisieren: Manomaya Kosha.

Nachdem du durch den Vorgang der Visualisierung gegangen bist, konzentriere dich auf ein Chakra, ein subtiles Zentrum. Nimm dessen Aktivierung wahr, während du die Haltung ausführst. Die Wahrnehmung der Chakras zu vertiefen, wird dich zu Vijnanamaya Kosha führen.

Die fünfte Komponente beim Ausführen einer Haltung ist die Mantrabewusstheit – du lenkst deine Aufmerksamkeit auf ein Mantra, während du das Asana übst. Indem du dem Mantra erlaubst in den Vordergrund zu treten, erschliesst sich dir der Zugang zu Anandamaya Kosha. Auf diese Weise kann dich eine Übung von Annamaya zu Anandamaya führen und all die unterschiedlichen Dimensionen der Persönlichkeit ausgleichen.

Zwei Aspekte sollten klar sein. Erstens: der Ablauf, den uns Sri Swamiji gelehrt hat. Asanas sind keine körperlichen Übungen. Sie sind Haltungen, welche dir, wenn sie korrekt ausgeführt werden, die Erfahrung von Annamaya Kosha bis hin zu Anandamaya Kosha erlauben. Dazu können alle Asanas dienen, egal für wie unwichtig sie dir erscheinen mögen. Zweitens: das Üben ist nicht mechanisch. Achtsamkeit und Entspannung beim Üben der Haltungen sind unabdingbar.

—25. Oktober 2019, Munger Yoga Symposium, Satsang von Swami Niranjanananda Saraswati

Das Original findest du im Yoga Magazin vom September 2019 auf der Website der Bihar School of Yoga.

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