Von wem erlernen wir Yoga? In der spirituellen Tradition lernen wir von einem Guru. Im gewöhnlichen, gesellschaftlichen Gefüge lernen wir von Lehrern oder Professoren. Zwischen einem Professor, Lehrer, Dozenten und einem Guru besteht jedoch ein Unterschied. Menschen, die sich mit gesellschaftlichen Rollen identifizieren, sagen: “Ich bin Dozent für Yoga, ich bin ein Yoga Lehrer, ich bin ein Yoga Experte, ich bin dies und das für Yoga.” Dies deutet auf ihr begrenztes Verständnis hin. Worin liegt der Unterschied zwischen einem Lehrer und einem Guru? Der Lehrer, der sein Wissen aus Büchern hat, unterrichtet Yoga, aber er lebt es nicht. Ein Guru hingegen lebt Yoga und unterrichtet es nicht. Wenn es dir gelingt, die Lehren des Gurus aufzunehmen und diese in dein eigenes Leben zu integrieren, wirst du vom ganzen Prozess eine tiefer gehende Erfahrung und Erkenntnis erhalten.
Du musst den Guru als Guru akzeptieren. Betrachte ihn nicht als Problemlöser oder Berater für Familienangelegenheiten wie Heirat, Scheidung oder für Fragen zu Beruf und Ausbildung. Die Rolle des Gurus ist klar definiert. Im einfachsten Sinne ist die Rolle des Gurus, die eines spirituellen Führers. Er ist weder Berater für Hochzeitsangelegenheiten noch für Fragen zum Studium. Frage den Guru, wie du inneren Frieden erlangen kannst, wie du Positivität und Kreativität entwickeln kannst, und du wirst eine Antwort erhalten. Wenn du den Guru als spirituellen Wegweiser annehmen kannst, wirst du im Leben wachsen und erfolgreich sein. Betrachtest du ihn hingegen als Berater und glaubst, wenn du seine Ratschläge befolgst, du im Leben glücklich sein, den richtigen Partner oder einen guten Job finden und Geld verdienen wirst, dann wird sich diese Beziehung erst gar nicht entwickeln. Du magst vielleicht glücklich sein, okay, aber es findet kein Wachstum statt; es entwickelt sich keine Verbindung.
An die Verbindung zum Guru sollte keine Erwartung geknüpft sein. Vom Guru solltest du nichts erwarten, vielmehr solltest du von dir selbst etwas erwarten. Was erwartest du von einer Glühbirne, von einer die zehn oder hundert Watt hat? Dass sie Licht gibt. Was jedoch tust du, wenn du eigentlich fähig wärst zu sehen? Wenn es hell ist und du deine Augen schließt, hat das Licht keine Bedeutung. Ist es jedoch dunkel, und du entschließt dich, deine Augen zu öffnen, wirst du eines Tages in der Lage sein, zu sehen. Daher solltest du an dich Erwartungen stellen und nicht an den Guru.
So wie du dich im Badezimmer im Spiegel siehst, ist im spirituellen Leben der Guru der Spiegel, in welchem dein spirituelles Selbst reflektiert wird. Du schaust in den Badezimmerspiegel, um dich schön zu machen. In der gleichen Art und Weise schaust du auf den Guru und deine Reflexion und versuchst dich selbst zu verbessern, um das schöne Selbst zur Entfaltung zu bringen. Du musst von dir selbst etwas erwarten, nicht vom Guru. Der Guru ist nur ein Spiegel, der dir in jedem Moment das reflektiert, was du gerade bist.
Wie soll man also eine Beziehung zu einem Guru aufbauen, ohne von ihm abhängig zu werden? Menschen werden abhängig, wenn sie beginnen, zu viel von einer anderen Person zu erwarten. Wenn du jedoch von dir selbst erwartest, dich zu verbessern und zu entwickeln, dann nimmt deine Abhängigkeit ab. Dies ist das Geheimnis spiritueller Entwicklung.
Satsang vom 18. August 2008, Ganga Darshan, Munger
Abgedruckt in On the Wings of the Swan – Volume VIII von Swami Niranjanananda Saraswati
Das Original findest du im Yoga Magazin vom Juli 2016 auf der Website der Bihar School of Yoga.